Hängetrauma
Der Begriff Hängetrauma wird benutzt, um den Kreislaufzusammenbruch zu beschreiben, der durch das freie, aufrechte und bewegungslose Hängen in einem Auffanggurt ausgelöst wird. Der medizinische Ausdruck für das Hängetrauma ist «orthostatischer Schock».
Wie kommt es zu einem Hängetrauma?
Nahezu in allen Bereichen des Arbeitslebens können sich lebensgefährliche Absturzunfälle ereignen, wenn es bei der Arbeit tief hinunter oder hoch hinaus geht, wenn Arbeiter auf Gerüsten arbeiten, Industriemaschinen reparieren, Sanierungsarbeiten an Dächern durchführen oder z.B. große Fahrzeuge beladen, muss auch immer damit gerechnet werden, dass ein Absturz geschehen kann. Folge solch eines Absturzes könnte immer der Tod sein. Um das zu verhindern, werden Sicherungssysteme verwendet, bei denen der Arbeiter durch ein Seil und die sogenannte «Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA)» gesichert ist und vor dem Aufschlag durch die Gurte, die als Teil der Persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz um seinen Körper liegen, aufgefangen wird. Nach solch einem Absturz und der vorläufigen Rettung durch die Schutzausrüstung lauert allerdings oft eine mindestens genauso große Gefahr, nämlich das sogenannte Hängetrauma. Wenn die Person in die Schutzausrüstung fällt, drückt das Eigengewicht über das Gesäß und die Beine auf die Gurte und die Venen werden zusammengepresst. Die Venen transportieren im Normalzustand aus allen Körperregionen das Blut zurück zum Herz. Durch das zusammenpressen der Venen durch die Gurte wird dieser Blutrückstrom behindert und das Blut sammelt sich – verursacht durch die Schwerkraft – in den Beinvenen und lebenswichtige Organe wie Lunge und Gehirn können nicht mehr richtig mit Sauerstoff versorgt werden. Dieser Sauerstoffmangel im Gehirn verursacht schließlich auch die Bewusstlosigkeit. Die normalerweise nun automatisch einsetzende Schutzfunktion des Körpers – das «Umkippen», wodurch gewährleistet ist, daß das Blut wieder zum Gehirn fließt – wird durch die aufrechte Position der frei hängenden Person unterbunden
Anzeichen dafür, dass ein Hängetrauma vorliegt.
Die Zeit bis zum ersten Auftreten der Symptome kann variieren. Bereits nach zwei Minuten können die ersten Anzeichen für ein beginnendes Hängetrauma zu erkennen sein, z.B. Blässe, verstärktes Schwitzen und Kurzatmigkeit. Mit zunehmender Dauer kommen Symptome wie der Anstieg von Blutdruck und Puls, Schwindel, Übelkeit, Muskelkrämpfe, Taubheit in den Beinen und Sehstörungen dazu. Schließlich fallen Blutdruck und Puls ab, es kommt zur Bewusstlosigkeit und schließlich zum Herzstillstand. Die Zeit vom Auftreten der ersten Symptome bis zum vollständigen Kreislaufzusammenbruch ist unter Umständen sehr kurz und lässt nicht viel Spielraum für Reaktionen. Nach dreißig Minuten kann der Tod bereits eintreten. Eine sofortige Einleitung von Rettungsmaßnahmen nach einem Absturz ist daher sofort umzusetzen. Auch nach erfolgreicher Rettung droht in den nächsten 48 Stunden noch immer die häufigste Todesursache nach Bergungen aus dem freien Hängen, das akute Nierenversagen. Deshalb ist nach jeder Rettung aus dem Gurt die abgestürzte Person als medizinischer Notfall anzusehen und bedarf ärztlicher Hilfe und Aufsicht.
Beeinflussende Faktoren
Die Auswirkungen des bewegungslosen Hängens über einen längeren Zeitraum können je nach psychischer und körperlicher Verfassung der Person individuell variieren. Außerdem können verschiedene Faktoren wie durch den Sturz verursachte Verletzungen, Erschöpfung, Flüssigkeitsmangel oder auch die durch den Schreck des Beinahe-Absturzes gesteigerte psychische Belastung das Auftreten eines Hängetraumas begünstigen. Zum zeitlichen Verlauf des Hängetraumas lässt sich deshalb keine pauschale Aussage treffen. Sicher ist nur, dass der Betroffene so schnell wie möglich befreit werden muss aus der freihängenden Position, um das Risiko des Hängetraumas so weit wie möglich zu reduzieren.
Erste Hilfe nach einer Rettung aus dem Gurt
Nach der Rettung aus dem Gurt sollte die abgestürzte Person mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden, wenn sie nicht bewusstlos ist, keine massiven Blutungen aufweist und kein Atemstillstand vorliegt. Die sofortige Flachlagerung könnte im schlimmsten Fall zu akutem Herzversagen führen. Einengende Kleidungsstücke und Gurte sollten entfernt werden. Die ständige Überwachung des Kreislaufs und der Atmung ist nötig und der Verunfallte sollte in hockender oder sitzender Stellung auf den Notarzt warten.
Fazit – Maßnahmen ergreifen
Unternehmer sollten möglichst schon bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigen, dass ein Verunfallter Arbeiter nach dem Absturz hilflos im Gurt hängen wird und schnellstens daraus befreit werden muss. Völlig ausschließen läßt sich das Risiko eines Hängetraumas nicht, erheblich eingrenzen lässt es sich jedoch. Die dafür erforderlichen Vorgehensweisen und Maßnahmen sind bereits im Vorfeld festzulegen und müssen regelmäßig geübt werden, auch nach Empfehlung durch die Präventionsexperten der DGUV. Die Auswahl der geeigneten Auffanggurte, das Erstellen eines Rettungsplans und die Anwesenheit von mindestens einer zweiten Person, die im Ernstfall Sofort- und Rettungsmaßnahmen treffen kann, sind dabei nur ein paar der möglichen Maßnahmen.